Starker Vagusnerv für mehr Entspannung
Der Vagusnerv hat einen großen Einfluss auf unser Wohlbefinden. Ist er aktiv, durchströmt uns ein Gefühl wohliger Ruhe. Verdauung, Herz- und Atemfrequenz entspannen sich. Zeit, ihn zu aktivieren!
Den Gegenspieler des Vagusnervs kennen die meisten von uns zur Genüge: Den Wäscheberg abarbeiten, im Kopf am Jobprojekt feilen und immer gibt es eine E-Mail, die noch dringend geschrieben werden muss. Wir sind in diesen Momenten – zumindest unterschwellig – Dauer-gestresst. Und stehen unter der Spannung des Sympathikus.
Den Vagusnerv hingegen kennen wenige. Nicht nur begrifflich, sondern auch die Gefühle, die er hervorruft – das sind Ruhe, Entspannung, alles locker lassen – empfinden wir viel zu selten.
Die positive Nachricht: Wir können diesen Nerv trainieren. Erfahre dazu, was der Vagusnerv ist, wo er verläuft und wie du ihn selbst aktivieren kannst.
Vagusnerv: deine Entspannungs-Autobahn
Der Vagusnerv, unser 10. Hirnnerv, verläuft vom Hirnstamm bis in den Bauchraum. Auf seinem Weg verzweigt er sich unter anderem zu Herz, Nieren, Lunge, Leber, Milz und zu den Verdauungsorganen – und von dort wieder zurück.
Insgesamt besteht der Vagusnerv aus circa 100.000 einzelnen Nervenfasern und beeinflusst wie ein Superhighway zahlreiche Neurotransmitter und andere Botenstoffe. Das beschreibt auch der Name Vagusnerv: Vagus stammt aus dem Lateinischen und bedeutet „umherschweifen“ – denn irgendwie hat er überall seine Nerven-Fingerchen im Spiel.
Seine wichtigste Funktion ist die Aktivierung des Parasympathikus. Das ist der Zweig unseres vegetativen – unterbewussten – Nervensystems, der für Entspannung sorgt. Sein Gegenspieler ist der hektische Sympathikus – verantwortlich für „Kampf und Flucht“.
Nervensystem im Gleichgewicht
Unser vegetatives Nervensystem steuert alle unbewussten Prozesse im Körper: Verdauung, Herzschlag, Muskeltonus, Atmung und vieles mehr. Es ist aufgeteilt in die besagten zwei Gegenspieler: Sympathikus und Parasympathikus. Anspanner und Entspanner. Welche, wenn alles „normal“ läuft, wie ein Pendel abwechselnd immer mal wieder aktiv sind.
Beide Funktionen sind überlebenswichtig und uralte Schutzmechanismen des Körpers:
Taucht überraschend ein Säbelzahntiger auf, haben wir durch die Aktivierung des Sympathikus schnelle Energie verfügbar: Adrenalin wird ausgeschüttet, die Atmung beschleunigt, damit mehr Sauerstoff zu den Muskeln gelangt und die Energiegewinnung den Turbo eingelegt. Andere Funktionen des Körpers – wie Verdauung, Immunsystem, Reproduktion – fährt der Sympathikus aus Effizienzgründen runter. Fokus aufs Wesentliche: Kampf oder Flucht.
Ist die Gefahr vorbei, übernimmt der Parasympathikus – über den Vagusnerv – das Kommando: Er entspannt uns, senkt Blutdruck und Puls und aktiviert wieder Verdauung, Immunsystem und Reproduktionsfähigkeit. Auch unsere Atemfrequenz ist ruhig und entspannt. Wir regenerieren und können dann, beim nächsten Säbelzahntiger, wieder mit voller Power schnell reagieren.
Dieses System hilft uns in Extremsituationen zu überleben. Zum dauerhaften Lebensglück hingegen verhilft es uns nicht unbedingt. Denn sind wir im Dauerstress oder in einer emotionalen oder gedanklichen Schieflage, ist auch der Sympathikus (Anspanner) daueraktiv. Mit der Konsequenz: Der Vagusnerv ist blockiert, der Entspannungs-Anteil in unserem vegetativen Nervensystem ist flachgelegt.
Den Vagusnerv stimulieren
Nun ist es zwischen Job, Familie und hohem Selbstanspruch ein ziemlich unmögliches Unterfangen, Stress komplett zu vermeiden. Das ist auch nicht nötig, denn er ist normaler Bestandteil unserer Balance. Wichtiger ist es, eine guten Umgang mit Stress zu entwickeln und, vor allem, Ausgleich zu schaffen.
Der Vagusnerv kann uns dabei helfen. Wird er stimuliert, aktiviert das automatisch den Parasympathikus und dämpft die Stressreaktionen. Verdauung, Organe und Blutzucker können wieder in Ruhe ihren Job erledigen, Herz- und Atemfrequenz sind entspannt, Energielevel und Stimmung steigen.
Stell dir deinen Vagusnerv wie einen Muskel vor. Wie fit dieser ist, nennt sich Vagustonus. Je besser der Vagusnerv trainiert ist, desto höher ist sein Tonus und umso leichter schalten Körper und Geist von der „Anspannung“ in die „Entspannung“. Ähnlich wie es auch für starke Bauchmuskeln und eine stabile Körpermitte regelmäßiges Training braucht, wünscht auch ein starker Vagustonus regelmäßige Übung.
Trainingstipps für den Vagusnerv
Vagusnerv-Training dauert nicht unbedingt lange. Viel wichtiger ist es, es regelmäßig zu tun. Suche dir täglich 1-3 aus den folgenden zehn Varianten aus, um deinen Vagusnerv zu stärken.
#1: Summen, schnurren, singen, lachen
Wenn der Kehlkopf vibriert, wird der Vagusnerv aktiviert.
- Singen: egal was und wo – morgens unter der Dusche oder abends beim Kochen
- Lachen: auch egal über was – Filme, lustige Youtube Videos, Comedy, ...
- Gurgeln: morgens und abends für 30-60 Sekunden
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Ommmmm: ja genau das Om aus der Yoga Praxis – mit langer, nachhallender Vibration bis tief in den Brustkorb
#2: Tiefenatmung
Unsere Atmung ist weitaus mehr als eine Sauerstoffaufnahme. Je nach Atmung kannst du verschiedene körperliche Reaktionen hervorrufen. Die tiefe Bauchatmung ist der einfachste Weg, um den Vagusnerv zu stimulieren – und da du eh atmen musst, kostet es keine Extrazeit.
Leg deine Handflächen auf den Bereich deines Magens. Atme tief ein und wieder aus, sodass du fühlst, wie dein Bauch sich hebt und senkt. Wenn du magst, lass deine Hände mit sanftem Druck ein wenig auf deinem Bauch kreisen. Zähle beim Einatmen bis vier, halte kurz und atme dann bis sechs oder sogar acht wieder aus. Bei der bewussten Bauchatmung bewegst du das Zwerchfell mit, was automatisch die inneren Organe mit massiert.
#3: Meditation
Meditieren ist Entspannung pur und aktiviert deinen Vagustonus. Du kannst auch den Om-Gesang bei der Meditation nutzen, um dich einerseits tiefer in die Entspannung zu versenken und andererseits, um deinen Vagusnerv durch die Vibration zu aktivieren.
Ist dir das unangenehm, dann verbleibe in Stille und fokussiere dich aufs Hier und Jetzt. Schon 5 Minuten täglich genügen, gern mit einer Meditations-App wie Headspace oder Calm.
#4: Bitterstoffe
Die Wirkung von Bitterstoffen beginnt schon im Mundraum. Oder genauer: Bei der Bindung ans Bitterzentrum in den Geschmacksknospen unserer Zunge. Dabei kommt es zur Aktivierung des Vagusnervs. Bitter macht also nicht nur lustig, sondern auch entspannt. Besonders dein sogenanntes Bauchhirn profitiert davon.
#5: Yoga
Die positiven Auswirkungen von Yoga sind bereits seit Längerem bekannt und Studien legen nahe, dass Yoga auch beim Vagustonus eine Rolle spielt. Falls du das für dich testen möchtest, haben wir eine Übung für dich:
Leg dich auf den Rücken, Beine anwinkeln, Füße stehen hüftbreit auseinander. Die Hände liegen entspannt neben dem Körper. Nun das Becken langsam anheben. Die Oberschenkel bilden eine Linie mit dem Oberkörper. Oberschenkel, Knie, Waden und Gesäß anspannen, die Bauchmuskeln bleiben hingegen locker. 10 bis 15 Sekunden halten, anschließend Hüften langsam auf den Boden sinken lassen. Dreimal wiederholen. Dabei atmest du beim Anheben des Beckens und während des Haltens bewusst ruhig aus, sobald du die Muskelspannung lockerst, atmest du ruhig ein.
#6: Massage
Du kannst an verschiedenen Körperstellen den Vagusnerv durch Streicheln oder sanfte Massagen aktivieren. Eine dieser Stellen liegt an deinem Hals. Der Vagusnerv verläuft in der Nähe der Halsschlagader, also seitlich an deinem Hals.
Beginne am besten, indem du deinen Hals mit den Fingerspitzen leicht ohne Druck streichelst und dann langsam mit mehr Druck arbeitest. So gehst du in die punktuelle Massage über.
Massiere gerne auch sanft deinen Bauch mit langsamen, gleichmäßigen, kreisenden Bewegungen im Uhrzeigersinn.
#7: Ich-Zeit
Spazieren in der Natur, Ausstellung, Meer, Sonnenuntergang, Buch – alles, was dich beruhigt, stimuliert den Vagusnerv.
Doch auch, wer es weniger ruhig mag, kann etwas für seinen Vagusnerv tun: Insgesamt sind gute Laune, positive Gedanken, Freude, auch Vorfreude, perfekt für unseren Vagusnerv. Denn dieser sorgt nicht nur dafür, dass unsere Glückshormone (und viele andere Neurotransmitter) überhaupt im Körper herumschwirren, wir stimulieren ihn zusätzlich mit positiven Gedanken und Erlebnissen – und das regt wiederum die Produktion von Serotonin an. Ein praktischer Kreislauf.
US-Studien haben übrigens ergeben, dass auch Geselligkeit deinem Vagusnerv guttut – wenn sie nicht zur Überforderung ausartet. Eine schöne Verabredung mit Freunden oder der Familie kann also genauso gut sein, wie eine Verabredung mit dir selbst. Am besten natürlich beides!
#8: Kalt und warm
Die kalte Dusche am Morgen hilft nicht nur beim Aufwachen, sondern stimuliert auch deinen Vagusnerv. Denn er reagiert auf Temperatur. Nach dem ersten Reflex, bei der Kälte die Luft anzuhalten, achte bewusst auf deine Atmung. Atme langsam aus und nimm wahr, dass die Kälte dann leichter zu ertragen ist.
Zum Glück hilft neben Kälte auch Wärme dabei, deinen Vagusnerv zu aktivieren. Je nachdem was dir lieber ist hast du also die Wahl zwischen kalt und warm. Hierfür ist der Gang in die Sauna optimal – und die kalte Dusche fällt vielen im Anschluss auch leichter als gleich am Morgen.
#9: Probiotika
Probiotika stärken nicht nur deinem Darm, sondern können auch Auswirkungen auf den Vagusnerv haben. Schließlich verbindet dieser Gehirn und Darm und sorgt über die sogenannte Darm-Hirn-Achse (gut-brain-axis) für regen Austausch in beide Richtungen. Ist die Zusammensetzung des Mikrobioms gestört, hat das Auswirkungen auf die Kommunikation und somit auf unsere Stimmung und unser Stresserleben.
Die Forschung steckt hierzu noch in den Kinderschuhen. Doch Fachleute sind sich sicher, dass Darmbakterien die Gehirnfunktion verbessern können. Was du für die volle Probiotika-Power essen musst, erfährst du in unserem Artikel Probiotika: Wichtig in den Wechseljahren.
#10: Augenpressur
Bei langer Bildschirmarbeit oder Gedankenstress kann man den Vagusnerv zwischendurch über den dritten Hirnnerv aktivieren. Lege die Handflächen dafür so über die Augen, dass diese komplett von der Handfläche umschlossen sind. Presse die Hände dann mit leichtem Druck auf die geschlossenen Augen, bzw. den Bereich darum. Atme dabei entspannt ein und aus.